Neue Ziele finden in der Krise

Am 13. August 2020 war es geschafft. Dominic Thiem hat sein selbsterklärtes Lebensziel erreicht, nachdem er in einem packenden Finale seinen Freund und Rivalen Alexander Zverev niedergerungen hatte. Die Energie, die dieser Erfolg mit sich brachte, war in den Folgemonaten noch sehr stark zu spüren, ehe es plötzlich nicht mehr so laufen wollte. Seit Beginn des Jahres kämpft Thiem darum, dort anzuschließen, doch die Ratlosigkeit beginnt zu steigen, weil es nicht wirklich gelingen will. Dieses Phänomen, das “postgoal” Tief, gibt es nicht nur bei Sportlern. Bei genauerem Hinsehen haben wir alle schon die eine oder andere solche Situationen erlebt. In den kommen Wochen und Monaten, wenn sich die Türen langsam wieder öffnen und die Einschränkungen nach langem Durchhalten weniger werden, werden sich bei einigen ähnliche Gefühle bemerkbar machen. Deshalb lohnt es sich, einen Blick auf die Möglichkeiten zu werfen, wie man mit diesem Phänomen umgehen kann.

Alles für einen kurzen Moment

Stellen Sie sich vor Sie sind ein Tennisprofi. Jahrelang haben Sie ein großes Ziel vor Augen, sprichwörtlich Ihren Lebenstraum, einmal ein Grand Slam Turnier zu gewinnen. Der Weg dorthin begann noch im Nachwuchs und dann nach langen Jahren hartem Training, vielen kleineren und größeren Erfolgen und Misserfolgen ist es soweit: Sie gewinnen Ihr erstes Grand Slam Turnier.

Vergleicht man nun die Zeit des Weges dorthin, nämlich 15 Jahren, mit dem Moment des Gewinnes, wenige Sekunden, so erkennt man, dass der Moment des Gewinnens nicht in Relation zum Einsatz steht. Manchmal hält das Gefühl einige Tage an, aber spätestens dann ist der Triumph nur noch eine Erinnerung, repräsentiert durch den Pokal und Prämien.

Selbst in wesentlich kleinerem Rahmen ist dieses Phänomen zu beobachten. Der Hobbytennisspieler, der den ersten Satz knapp gewinnt und dann zu Beginn des zweiten Satzes nachlässt. Oder die Fußballmannschaft die nach dem schnellen Führungstor wie ausgewechselt erscheint und die einfachsten Pässe scheinbar verlernt hat. Oder eine Mitarbeiterin eines Unternehmens, die nach drei Wochen langer, harter Projektarbeit zu Beginn ihres Urlaubes krank wird.

Alle diese Situation haben eines gemeinsam, nämlich die unweigerlich auf den Erfolg folgende Frage: Was nun? Schenken Sie dem Weg, den Sie gehen mehr Bedeutung und Aufmerksamkeit, denn der ist immer um vieles länger als das Erreichen des eigentlichen Zieles. Deshalb ist es wichtig, die Leistungen auf dem Weg anzuerkennen und als Teilerfolge zu feiern. Dadurch wird vielleicht das Erfolgsgefühl etwas weniger intensiv, aber dafür länger.

Ressourcendilemma

Vielen von uns haben große, langfristige Projekte wie etwa einen Marathon, Karriereziele oder Lebensträume, an deren Umsetzung wir oft über Jahre hinweg arbeiten. Je wichtiger dieses Ziel ist, desto mehr zeitliche und mentale Ressourcen stecken wir in die Umsetzung.

Ein gesunder Ressourcenspeicher lebt davon, dass er regelmäßig aufgefüllt wird, um den Verbrauch auszugleichen und so immer seinen Zweck erfüllen kann. Für unseren Organismus wird es dann herausfordernd, wenn wir lange und intensiv auf ein Ziel hinarbeiten. Unsere Erholungs-Beanspruchungsbilanz stimmt nicht mehr, wir verbrauchen mehr Ressourcen als wir auffüllen. Um den Speicher also wieder aufzufüllen, folgen erreichten Zielen oft Erholungsphasen in einer Art „Ruhemodus”.

Die Dauer dieser Phase ist jedoch nicht immer gleich und kann je nach Beanspruchungsphase davor zwischen einem Tag und mehreren Monaten liegen. In dieser Phase sind wir nicht zu 100%leistungsfähig da unsere Reserven noch nicht wieder restlos aufgefüllt ist. Wir spüren das einerseits mental, in dem wir nicht so gut gelaunt und nicht so belastbar sind, aber auch körperlich. Wir neigen eher zu Krankheiten und Verletzungen, da sich auch unser Immunsystem nach langer harter Phase erholen muss. Die verringerte Leistungsfähigkeit in Kombination mit emotionaler Leere führt dazu, dass diese Phase als eine Art Krise erlebt und bezeichnet wird.

Daher ist es wichtig, dass die „Ruhephase“ nach erreichten Zielen nicht als Niederlage oder Schwäche gesehen wird, sondern als Chance sich auf neue Herausforderungen vorzubereiten. Dabei ist es wichtig, die Erwartungen in dieser Phase zu senken. Eine Krise entsteht u. a. dann, wenn Dinge anders laufen als geplant. Also planen Sie anders, dass die Dinge so laufen, wie geplant.

Fokus halten

Thiem, wie auch andere SportlerInnen, hat wiederholt auf die Motivationsprobleme und die Herausforderungen durch die Abwesenheit des Publikums hingewiesen. Bei genauerer Betrachtung lässt sich allerdings feststellen, dass für viele diese Änderung erst ein Problem darstellte, als der Erfolg ausblieb.

Das ist kein unbekannter Effekt. Vor allem wenn die Dinge nicht so laufen wie geplant und man gefühlt bereits alles versucht hat, um eine positive Wende herbeizuführen, lässt sich leicht der Fokus verlieren. Man sucht die Verantwortung gerne beim Kontext, dem Wetter, dem Material oder den Kollegen. Dies wurde die Beschränkungen im Zusammenhang mit der Bekämpfung Covid-19 deutlich.

Der Fokus auf Dinge, die außerhalb unserer Kontrolle liegen, steigert unsere Frustration und das Gefühl der Machtlosigkeit. Letzteres verleitet uns oft zu noch größeren Projekten, allerdings wird dieses Gefühl dadurch oft noch verstärkt, falls wir sie nicht erreichen und eine negative Spirale in Gang gesetzt.

Um Krisen erfolgreich zu meistern, ist es entscheidend, sich immer wieder Einflussbereich zu konzentrieren. Dabei ist es nützlich, mit kleinen Zielen zu beginnen und sich immer wieder die Frage zu stellen, ob ich das Erreichen ausschließlich in meiner Verantwortung liegt. So stellt sich langsam wieder der Erfolg ein, und der Tank füllt sich wieder auf.

Stärkung von Ankern

Krisen bedeuten unweigerlich Änderungen, da die Dinge nicht mehr fortsetzen können wie bisher. In schwierigen Momenten gehen wir allerdings gerne in einen Modus, in dem wir alles ändern möchten und kein Stein bleibt auf dem anderen. Was dabei unterschätzt wird, ist dass wir durch zu viele Veränderungen uns noch mehr entwurzeln.

Es ist entscheidend, sich seine sognannten Anker ins Gedächtnis zu rufen und sich an denen wieder aufzurichten und neu zu motivieren. Im Beruf sowie im Privatleben gibt haben wir Dinge, die uns Energie geben und antreiben. Dieser Antrieb ist es auch, was uns zu harter Arbeit und zum Erreichen unserer Lebensziele treibt.

Anstatt sich komplett neu zu erfinden, ist es oft hilfreich, wieder zu seinen Wurzeln zu gehen und sich in Erinnerung zu rufen, wieso man eigentlich mit etwas begonnen hat und was einen antreibt. Darauf lassen sich dann neue Ziele formulieren, die einen Ansporn darstellen.

Wenn dieser Funken wieder entfacht wird, dann ist es nur eine Frage der Zeit bis Dominic Thiem uns mit weiteren großen Erfolgen unterhalten wird, während wir unsere Ressourcenspeicher in der wiedergewonnenen Freiheit beim Verfolgen neuer Ziele auffüllen.

Thomas Kayer, Sportpsychologe & Teamentwickler

Thomas Lahnthaler, Experte für Krisenmanagement